21. November 2013 in Nachrichten

Neu erschienen - Juden in der Textilindustrie

Juden in der Textilindustrie
Juden in der Textilindustrie

Der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb veröffentlicht mit diesem Band die Vorträge der Tagung »Juden in der Textilindustrie«, die im Oktober 2010 in Hechingen stattfand. Die Autoren, die über die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Süddeutschland forschen, behandeln in ihren Beiträgen die Rolle von jüdischen Familien in der Produktion und Distribution von Textilprodukten.

Warum findet man so viele jüdische Gründungen von Textilfirmen, seien es Fabriken oder Einzelhandelsgeschäfte oder auch Kaufhäuser? Die ersten beiden Beiträge versuchen, auf diese Frage zu antworten. Der frühere württembergische Landesrabbiner Joel Berger erklärt die „Jüdischkeit der Textilindustrie“ aus den Gesetzen der Thora und ihren philosophischen Grundlagen. Zum Beispiel erstrecken sich die gebotenen Beschränkungen bei der Nutzung der Schöpfung nicht nur auf die Speisen, sondern auch auf andere Lebensgrundlagen wie die Kleidung. Im dritten Buch Mose wird gesagt: „Du sollst nicht anziehen ein gemengtes Kleid von Wolle und Leinen zugleich.“ Der Beitrag ist ein spannender Exkurs in die jüdischen Anschauungen zur Bewahrung der biblischen Werte der Schöpfung.

Dr. Uri Kaufmann beschäftigt sich in seinem Beitrag mit „Warenhäusern in jüdischem Besitz in Südwestdeutschland“. Die Idee eines Kaufhauses kam ursprünglich aus Amerika über London und Paris auch nach Deutschland und war keine explizit jüdische Erfindung. Da sich aber die Warenhäuser aus der Textilbranche entwickelten, konnten sich innovationsbereite jüdische Unternehmer erfolgreich auf diesem Geschäftsgebiet positionieren. Spannend lesen sich die Geschichten der Warenhaus-Dynastien Wertheim, Schocken, Tietz und Knopf.

Andere interessante Firmengeschichten aus Hechingen und Hohenzollern erzählt Astrid Muth. Im Industrialisierungsprozess des 19. Jahrhunderts spielte die Textilbranche in dieser Region eine entscheidende Rolle. Von den dreizehn Gewerbebetrieben, die sich bis 1899 in Hechingen angesiedelt hatten, waren sieben Textilfabriken, von denen sich sechs in jüdischem Besitz befanden. Der Aufsatz beschreibt die Entwicklung von kleinen Familienbetrieben zu großen und erfolgreichen Unternehmen, die einen Großteil der Arbeitsplätze in der Region sicherten.

Eine ganz besondere Geschichte, die auf intensiven persönlichen Begegnungen beruht, erzählen Irene Scherer und Welf Schröter über eine bekannte Mössinger Firma: „Jüdisches Weltbürgertum – die Pausa in Mössingen und das Bauhaus“. Sie haben sich über die Suche nach Nachkommen der einstigen vertriebenen Firmenbesitzer Artur und Felix Löwenstein ihr Thema erschlossen. Besuche in London und Gegenbesuche in Mössingen haben ein festes Netz an Beziehungen geschaffen, in das auch viele Mössinger Bürgerinnen und Bürger und Nachkommen der Löwenstein-Familie in aller Welt eingeschlossen sind. Aus diesem Netzwerk haben sich weitere Projekte und Forschungsfelder entwickelt.

Auch in Rottweil gab es viele jüdische Kleider- und Wäschefabriken, Stoffhandlungen, Modehäuser und als Besonderheit jüdische Putzmacherinnen und Modistinnen. Dr. Winfried Hecht zählt in seinem Beitrag „Zu den jüdischen Textilbetrieben in Rottweil und ihrer Entwicklung“ allein 21 Textilfirmen auf. Eine der bekanntesten Rottweiler Familien in dieser Branche dürfte die Familie Degginger sein. Die Töchter des Krone-Wirtes Nathan Degginger gründeten ein Putzgeschäft, also einen Laden für Damenhüte. Es gab die Kleiderfabrik Friedrich Degginer, die Firma Woll- und Baumwollwaren Gabriel Degginer, die Kleiderfabrik Degginger & Rosenstiel und die Hemdenfabrik Adolf Degginger. Auch hier gilt wie an anderen Orten, dass die jüdischen Unternehmerfamilien zu den fortschrittlichsten Arbeitgebern am Platze zählten und eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft ihrer Heimatstädte spielten.

Das Gleiche lässt sich auch für die Familie von Lippmann Stern in Horb belegen. Der Firmengründer engagierte sich auch stark in der noch kleinen, neu gegründeten jüdischen Gemeinde in Horb und sein Sohn Heinrich war Soldat im ersten Weltkrieg. Heinz Högerle beschreibt in seinem Beitrag „Die Arisierung der Kleiderfabrik Stern K.G. in Horb am Neckar“ die Firmenentwicklung von einem Herrenkleider- und Tuchgeschäft auf dem Markplatz zu einer florierenden Kleiderfabrik in der Mühlener Straße, nach der Seifenfabrik Gideon der zweitgrößte Arbeitgeber in Horb. Auch hier endet die Geschichte mit Zwangsverkauf, Vertreibung und letztendlich Ermordung von mindestens neun Familienangehörigen.

Juden in der Textilindustrie


Herausgegeben von Karl-Hermann Blickle und Heinz Högerle
im Auftrag des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb e.V.
164 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-928213-19-6
Barbara Staudacher Verlag Horb, 16,00 Euro