12. November 2013 in Nachrichten

Die Kirche hat begeistert zugestimmt

Pfarrerin Biermann-Rau
Pfarrerin Biermann-Rau

Schwarzwälder Bote vom 12. November 2013
Zum Vortrag von Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau: An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen – eine Anfrage schrieb Peter Morlok
Luthers Schriften als „Drehbuch“ des Grauens? Pfarrerin Biermann-Rau spricht über fast totgeschwiegenes Thema

Horb-Rexingen. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in ganz Deutschland über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume. Auch wurden tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört.

So auch in Rexingen. Heinz Högerle vom Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen erinnerte am 75. Jahrestag dieses Verbrechens daran, dass in Rexingen der Brand von der Feuerwehr gelöscht wurde. »Es war aber kein Akt des Widerstandes, sondern geschah in Absprache mit den NSDAP-Vertretern in Horb. Man wollte aus den Räumen eine Turnhalle machen«.

Diese Vorgänge sind bekannt. Sie sind geschichtlich aufgearbeitet, dokumentiert und sind in das Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt.

Weniger bekannt, ja geradezu totgeschwiegen wird dagegen die Haltung der Evangelischen Kirche zu den Gräueltaten der Nazis, die im Holocaust ihren bitteren Höhepunkt erreichten. Noch immer unbeantwortet ist die Frage: Wie konnte die Zerstörung jüdischen Lebens im Nationalsozialismus geschehen inmitten einer Gesellschaft, die sich mehrheitlich zum Christentum bekannte?

Die Pfarrerin Sybille Biermann-Rau aus Albstadt-Ebingen hat sich in ihrem Buch »An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen« mit dieser Frage auseinandergesetzt. Sie lüftete den Mantel des Schweigens um die tabuisierte Judenfeindschaft, aus der der Reformator Martin Luther nie ein Hehl machte. Die Theologin ging in ihren Betrachtungen weit zurück in die Geschichte. Zuerst waren da die fünf großen Judenschriften des Reformators, in denen er den Antijudaismus, der die Geschichte des Christentums schon immer durchzog, guthieß. Er sah im Judentum das Gegenteil vom Christentum und ab 1543 entlud sich sein Hass auf die Juden in Schriften. Er schrieb von den »Jüden und ihren Lügen«. Pfarrerin Sybille Biermann-Rau las einige Passagen aus dieser Schrift vor. Sie dozierte, dass Antijudaismus und Antisemitismus beide auf dem gemeinsamen Untergrund des Judenhasses stehen und Luther sogar gesagt haben soll, »Wo immer dir ein Jude begegnet, begegnest du einem wahren Teufel«. Betretenes Schwiegen herrschte auch im bis auf den letzten Platz besetzten Versammlungsraum der Rexinger Synagoge als die Theologin die Empfehlungen verlas, die Luther seinen Landsleuten im Umgang mit den Juden jener Zeit gab. Er riet, ihre Häuser zu zerstören, ihre religiösen Zeichen zu vernichten und ihren Rabbinern das Lehren zu verbieten. Er forderte, dass die Juden zu Hause bleiben und keine freies Geleit auf den Straßen bekommen sollten. Man solle sie mit Berufsverbot belegen und ihnen dafür harte Fronarbeit auferlegen. Seine Empfehlungen gipfelten in den Worten: »Nur fort mit ihnen«. Das Luther’sche Zerrbild vom Judentum, von dem sich nachfolgende Reformatoren größtenteils distanzierten, liest sich wie die Gebrauchsanleitung und Aufforderung zum Völkermord. Worte, über die man heute erschrickt. »Martin Luther ist mit diesen Ansichten wieder weit zurück ins tiefste Mittelalter gefallen« so die Pfarrerin. Die Polemik Luthers nutzten dann die Nazis um bereits 1926 im »Stürmer« den Reformator als großen Mahner darzustellen und seine Ansichten als Rechtfertigung für die Massenvernichtung einzusetzen. Später, bei den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg hörte man oft den Satz: »nicht ich, sondern Martin Luther sollte auf der Anklagebank sitzen«.

Die Pfarrerin ging in ihren Ausführungen auf die einzelnen Phasen der Judenverfolg durch Hitlers Schergen – Ausgrenzung, Entrechtung, Ausstoßen und die Vernichtung – ein und stellte die Haltung der bekennenden Kirche dagegen. Ihr Fazit ist vernichtend: »Die Kirche hat nicht nur geschwiegen – sondern sie hat dem Treiben sogar begeistert zugestimmt«.

Ein Schweigen, das auch nach 1945 weiterging. 1950 gab es in dem »Stuttgarter Schuldbekenntnis« erstmals zwar einen kleinen Ansatz, der aber keine große Bekanntheit erlangte. Später machten sich Gruppe und Einzelne auf den Weg des jüdisch-deutschen Dialogs, es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) eine Mitverantwortung am Holocaust einräumte. Aber weder in den Reformationsdekaten 2000/10 noch in der gerade zu Ende gegangenen EKD-Synode fielen weitere klare Worte hierzu, die auf breiter Basis Gewicht hätten. Heinz Högerle sagte am Ende des Vortrags: »wir haben einiges gehört, dass uns den Atem stocken ließ« und in der anschließenden Fragerunde kristallisierte sich neben großer Betroffenheit heraus, das die Pfarrer bis heute sowohl mit dem Thema »Martin Luther als Judenfeind« als auch mit der Haltung der Lutherischen Kirche zur Massenvernichtung der Juden während des Naziregimes allein gelassen werden.